Wasserver- und -entsorgung zukunftsfest ausrichten

Umsetzung von Innovationen erforderlich

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Die deutsche Wasserversorgung und Abwasserentsorgung befinden sich europa- und weltweit im Vergleich aktuell auf einem hohen Stand. Die dazu gehörigen Infrastrukturen stellen ein großes Anlagenvermögen dar, deren Erhalt und Erneuerung erheblicher Aufwendungen bedarf. Laut der Aussagen der großen Fachverbände der Wasserwirtschaft werden jährlich sechs bis sieben Milliarden Euro in Anlagen und Netze investiert. Mit Blick auf die aktuellen Netzerneuerungsraten wird vielfach argumentiert, dass der eigentliche Investitionsbedarf rund zweimal so hoch liegt. Parallelen zum Investitionsstau bei Straßen, Brücken und Schienennetzen liegen auf der Hand, sind allerdings nur selten sichtbar, denn die Infrastrukturen liegen größtenteils wortwörtlich im Sand vergraben.

Zum hohen Investitionsbedarf hinzu kommt ein wachsender Veränderungsdruck auf die Infrastrukturen der Wasserver- und Abwasserentsorgung. Einige der zentralen Stichworte sind hier: Klimawandel, demografische Veränderungen, Spurenstoffe und Energiewende. Innerstädtische Überflutungen und gewässerschädliche Mischwasserüberläufe infolge von überlasteten Kanälen bei Starkregen sind heute bereits weitverbreitete und ernsthafte Probleme. Wasserarme Regionen hingegen kämpfen mit saisonalen Knappheitsproblemen und Qualitätsbeeinträchtigungen und suchen die Lösung, etwa im Ausbau teurer Regional- und Fernversorgungssysteme. Andernorts führt eine sinkende Wassernachfrage, zum Beispiel aufgrund abnehmender Bevölkerungszahlen, zu Unterauslastungen von Netzen und Anlagen. Die zunehmende und flächendeckende Belastung von Gewässern mit anthropogenen Spurenstoffen wie Arzneimitteln, Industriechemikalien oder Pflanzenschutzmitteln stellt gesteigerte Anforderungen an die Behandlungsverfahren für Trinkwasser und Abwasser zugleich. Und nicht zuletzt ist die ressourcenintensive Wasserwirtschaft dazu aufgefordert, ihren Beitrag zum Gelingen der Energiewende zu leisten.

Die Anpassung der Wasserver- und Abwasserentsorgungssysteme an diese sich überlagernden und zum Teil widerstreitenden Herausforderungen erfordern Innovationen und Umdenken auf allen Ebenen: von neuen technischen Lösungen und ihrer Integration in der Stadtentwicklung über Management - und Finanzierungsansätze bis hin zum regulativen Rahmen und Verbraucherverhalten. Nur so können die hohen Leistungen der Wasserwirtschaft bei weiterhin bezahlbaren Preisen in Zukunft gesichert werden.

Zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung - zehn Botschaften an Politik und Praxis:

Technische Systeme: Anlagen und Betrieb optimieren

1. Der Weg in die Zukunft führt über eine Optimierung des Bestands. Herkömmliche Planungsprozesse mit langen Zeithorizonten haben statische Lösungen und vielfach überdimensionierte Anlagen hervorgebracht. Die Systeme verursachen hohe Fixkosten für Unterhalt und Betrieb und weisen deshalb große Optimierungspotentiale auf. Die Herausforderung liegt darin, die Leistungsfähigkeit des Systems unter verschiedenen Belastungssituationen zu sichern.

2. Robuste und flexible Lösungen ermöglichen eine zukunftsfähige Gestaltung des urbanen Wasserhaushalts. Vor dem Hintergrund zu erwartender Prognoseunsicherheiten werden robuste Systeme benötigt, die auch bei unerwarteten Extremereignissen nicht vollständig versagen und zugleich kosteneffizient sowie rückbau- und erweiterungsfähig konstruiert sind. Dezentrale Komponenten können die Anpassungsfähigkeit der Systeme erhöhen. Flexible Planungsprozesse und Betriebsweisen sind erforderlich, um kurz- und mittelfristig bzw. stufenweise auf unvorhersehbare Entwicklungen reagieren zu können.

3. Ein Schlüssel für die Optimierung liegt im intelligenten Betrieb. Während in allen wesentlichen Infrastrukturbereichen die intelligente, IT-basierte Steuerung bereits Standard ist, sind die städtischen Wasserinfrastrukturen größtenteils immer noch auf dem Stand der Technik des 19. und 20. Jahrhunderts. Durch den Einsatz von Mess-, Steuer- und Datentechnik lassen sich Kontaminationen schneller erkennen und erhebliche Reserven in den bestehenden Entwässerungssystemen aktivieren.

Sektorübergreifende Lösungen: Erschließung ungenutzter Potenziale

4. Abwasser ist eine Ressource, kein Abfall. Technologien und Konzepte zur energetischen und stofflichen Wiederverwendung bzw. Nutzung von Abwasser sind erarbeitet und können umgesetzt werden. Mehr noch: alternative dezentrale Wasseraufbereitungstechnologien können zu innovativen Lebensmittelanbaumethoden beitragen, bedürfen in dieser Hinsicht allerdings noch der Weiterentwicklung.

5. „Energieeffizienz“ der Wasserinfrastrukturen muss begrifflich weiterentwickelt werden. Die Erweiterung der Wasserinfrastruktursysteme um Funktionen der Energieerzeugung als Beitrag zur Energiewende schlägt sich bislang nicht in der Bewertung der „Energieeffizienz“ solcher Anlagen nieder. Eine alleinige Quantifizierung über den Bedarf an Jahreskilowattstunden (kWh/a) pro Leistungseinheit (m3 Trinkwasserversorgung bzw. gereinigtes Abwasser) erfasst den Beitrag der Wasserinfrastrukturen zur Energiewende nicht sachgerecht.

Wasser in der Stadt: Integration von Stadt- und Infrastrukturentwicklung

6. Wassersensitive Stadtentwicklung setzt integrierende Planungsprozesse voraus. Die Hauptaufgaben der Siedlungsentwässerung, der Schutz von Menschen und deren Eigentum einerseits und der Gewässerschutz andererseits, lassen sich allein durch konventionelle unterirdische Systeme nur begrenzt erfüllen. Optimale Lösungen, die z.B. auch einen positiven Beitrag zur Stadtklima- oder Freiraumqualität leisten können, lassen sich nur durch eine verbesserte räumliche Organisation der Stadt erzielen. Dazu müssen verstärkt multifunktionale Flächennutzungen für den Rückhalt, die Versickerung und die Verdunstung von Niederschlagswasser in den Stadtraum integriert werden.

Entscheiden und Kommunizieren: zum Umgang mit Komplexität

7. Eine Unsicherheitsbetrachtung muss zum Standardwerkzeug der Planer werden. Das Konzept der Unsicherheitsbetrachtung muss fest in den Köpfen von Planern, Betreibern und Entscheidungsträgern verankert werden. Die Auswirkungen der erheblichen Ungewissheiten zukünftiger Entwicklungen können über die fundierte Erstellung von Szenarien und deren Bewertung, z.B. durch Simulationsmodelle, aufgezeigt und so die Komplexität und Ungewissheit reduziert werden. Nur über eine interdisziplinäre und ressortübergreifende Bearbeitung können Wasserinfrastrukturen sicher und zukunftsfähig geplant werden.

8. Multifunktionelle Infrastrukturen erfordern eine ganzheitliche Bewertung. Die angestrebte Multifunktionalität neuartiger Infrastrukturen, aber auch die vielfältigen Wechselwirkungen von Teilsystemen und -prozessen, erfordern zwingend eine integrierte Bewertung der Ziele und Wirkungen von Maßnahmen und Entscheidungen. Auch die indirekten Wirkungen von Infrastruktursystemen sind entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu berücksichtigen.

Transformation: Akteure, Strategien und Institutionen

9. Es liegt im Interesse der Kommunen, den Transformationsprozess zu koordinieren. Bei der Implementierung von multifunktionellen und differenzierten Systemlösungen für Wasser-, Energie- und Ressourcenmanagement auf Stadt-, Quartiers- und Gebäudeebene werden Leistungen und Anlagen teilweise dezentralisiert oder in den privaten Raum verlagert. Es Bedarf neuer Kooperationsformen zwischen Ver- und Entsorgungsträgern und mit den Bürgern. Der Kommune obliegt die kommunale Daseinsvorsorge. Sie ist dem örtlichen Gemeinwohl verpflichtet und prädestiniert, diesen Transformationsprozess im Gemeinwohlinteresse zu koordinieren. In der operativen Umsetzung und im Betrieb können dabei vielfältige unternehmerische Strategieoptionen sinnvoll sein.

10. Demonstrationsprojekte sind der notwendige nächste Schritt, um Umsetzungshemmnisse zu erkennen und abzubauen. Die Transformation bestehender Wasserinfrastrukturen auf Gebäude- wie auch Quartiersebene ist technisch und organisatorisch möglich und wird zur Verbesserung der Zukunftsfähigkeit bestehender Systeme als sinnvoll und erforderlich erachtet. In Hinblick auf den rechtlichen Regulierungsrahmen und finanzielle Anreizsysteme sind derzeit viele Fragen offen. Diese wirken sich als Umsetzungshemmnisse aus. Vor diesem Hintergrund sollten Demonstrationsprojekte forciert werden.

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