Das Ergebnis des britischen Referendums, aus der Europäischen Union auszutreten, hat zu Unsicherheit in der Gesamtwirtschaft geführt, doch innerhalb der Energie- und Umweltbranche erscheinen die Auswirkungen weniger gravierend, denn die Interessen sowohl von Seiten der EU als auch Großbritanniens stimmten bisher weitgehend miteinander überein.
Der unmittelbare und dazu negative Effekt innerhalb des Energiesektors ist der Anstieg der Treibstoffpreise aufgrund des schwächeren Pfunds. Doch ist dies lediglich das Ergebnis einer Fluktuation in Bezug auf den relativen Wert der Währung. „Da die Bank of England klare Aussagen darüber gemacht hat jederzeit einzugreifen, sollte es hier keine nachhaltige Wirkung auf den Markt geben,” lautet die Einschätzung von Frost & Sullivan Partner, John Raspin.
Historisch gehört die Energiebranche zu den Sektoren, die es der Europäischen Union schwer gemacht haben, zu einer Einigung zu finden, und den verschiedenen Mitgliedsstaaten wurde daher ein hoher Grad an Unabhängigkeit zugesprochen. Die Stromerzeugung durch Kernkraft und Kohle zum Beispiel sind Bereiche, in denen die einzelnen Mitgliedsstaaten radikal andere Ansichten vertreten.
Unter diesen Voraussetzungen erwartet Frost & Sullivan die folgenden Entwicklungen:
- In Bezug auf die Verringerung seiner Stromungerzeugungskapazität durch Kohle sowie seiner Kohlenstoffemmissionen ist Großbritannien dem Rest der EU bereits heute voraus. Das Land ist die Verpflichtung eingegangen, bis 2025 sämtliche Kohlekraftwerke still zu legen, und es gibt keine Anzeichen, dass dieser nicht nachgekommen wird. Das Land ist zudem damit beschäftigt, seine Initiativen zur Senkung von Kohlenstoffdioxid weiterhin durchzusetzen, diese sind Teil eines globalen Abkommens und nicht auf der Basis eines EU-zentrierten Übereinkommens getroffen worden.
- Der Bau neuer Kernkraftwerke in Großbritannien sieht sich mit anhaltenden Verzögerungen konfrontiert und das Brexit-Referendum wird dem Programm weitere Hürden in den Weg stellen, auch wenn offizielle Erklärungen noch vor dem Referendum verlautbaren ließen, dass sich Marktplayer wie EDF und andere auch weiterhin ihrem Investment verpflichtet sehen. „EDF hat sich bisher nur im Schneckentempo voranbewegt, aber der Brexit könnte das Unternehmen dazu bringen, die Durchführbarkeit des Projekts noch einmal zu überprüfen,” sagt Frost & Sullivan Principal Consultant, Jonathan Robinson.
- Als Teil der EU war es Großbritannien bisher nicht möglich, seine 2020-Ziele für erneuerbare Energien zu erreichen. Frost & Sullivan geht davon aus, dass es mehr als der Hälfte aller EU-Staaten ähnlich ergehen wird, so dass es an dieser Stelle kaum zu Veränderungen kommen wird. „Formal betrachtet wäre Großbritannien in Bezug auf erneuerbare Energien nunmehr unabhängig von jeglicher EU-Verpflichtung, das Land hat seine Subventionen jedoch bereits gekürzt und damit Unsicherheit verbreitet; bereits vor dem Referendum waren Investitionen gering. Geplante Projekte werden jedoch voraussichtlich weiter fortgeführt, da die Mehrheit der Beteiligten bereits zu den aktiven Planern im britischen Markt gehören. Der Brexit sollte deren Engagement nicht drastisch verringern,” so Jonathan Robinson, Principal Consultant.
- Was die Einführung von intelligenten Stromzählern angeht, so geht Frost & Sullivan davon aus, dass diese wie geplant mit der bereits demonstrierten Entschlossenheit der britischen Regierung vorangebracht wird. In jedem Fall wird es für das Land möglich sein, das Programm noch einmal zu überprüfen oder zu verzögern, da die EU die Umsetzung nicht forcieren wird, sollte es zu negativen Kostenauswirkungen kommen.
- Auf die Energiepreise wird der Brexit voraussichtlich keinen negativen Einfluss haben. Das “Versprechen”, bei einem Brexit, die Mehrwertsteuer auf Kraftstoff abzuschaffen kann kaum realisiert werden und würde letztendlich zu einer Verringerung von nur fünf Prozent führen. Wir gehen nicht davon aus, dass die Handelsverbindungen mit Frankreich, Irland und Belgien davon betroffen sein werden.
- Die Vollendung des Binnenmarktes geht nur langsam voran, aber da Großbritannien zu den liberalisierten Märkten in Europa gehört, die am weitesten fortgeschritten sind, und zudem damit verbundene politische Maßnahmen immer unterstützt hat, wird es auch in Zukunft so verfahren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Großbritannien jeglichen EU-Regelungen in dieser Hinsicht zustimmen und diese übernehmen wird.
- Langfristig rechnet Frost & Sullivan mit einer Erhöhung der Kapitalkosten bei der Strominfrastruktur aufgrund von erhöhten Finanzierungskosten - das wird davon abhängen, wie erfolgreich sich Großbritannien auf den Finanzmärkten positionieren kann.
- Der britische Energiemarkt ist ein Oligopol von ausländischen Versorgungsunternehmen, wie E.ON, RWE (npower), EDF, und Iberdrola (Scottish Power), die vier der Top sechs Marktplayer darstellen. Die Unsicherheit durch das Brexit-Referendum wird voraussichtlich das Engagement und die Aktivitäten dieser Energieunternehmen im britischen Markt verringern.
Was die Umweltbranche angeht, so hat der europäische Rechtsrahmen die britische Industrie nachhaltig geprägt, besonders wegen der relativ hohen Standards in Bezug auf den Umweltschutz in Verbindung mit der Wasserrahmenrichtlinie und daran anschließende Verordnungen (bspw. die Trinkwasserrichtlinie, die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser, die Klärschlammrichtlinie, die Richtlinie über industrielle Emmissionskontrolle und -vermeidung sowie die Badegewässerrichtlinie). Die EU-Direktiven für Abfallverwertung und Recycling hatten ebenfalls großen Einfluss auf dringend benötigte Investitionen in Großbritannien, wo die Recycling-Raten bei ca. 40 Prozent liegen. Die EU-Verordnung zur Kreislaufwirtschaft hätte das Land dazu gezwungen, in die Abfallverwertung zu investieren, um die höheren Anforderungen von 65 Prozent von wiederverwertetem Abfall bis 2030 zu erreichen.
„Die EU-Direktiven haben enorm dazu beigetragen, dass sich die Umweltqualität verbessert hat und man nunmehr einen greifbaren Unterschied feststellen kann, wie beispielsweise die Auszeichnung der ‘Blauen Flagge’ für Strände. Erst im Jahr 2014 konnte Großbritannien nachweisen, dass 99 Prozent der britischen Badegewässer gute oder sehr gute Wasserqualität aufweisen - was weitgehend der Badegewässerrichtlinie zu verdanken ist, die zu bedeutenden Investitionen in die Abwasserbehandlung geführt, hat, deren Abwässer ins Meer gelangen. Aufgrund des Brexit erwarten wir eine Entspannung im Markt und sinkende Qualitätsstandards,”erläutert Frost & Sullivan Vice President, Fredrick Royan.