Neue Balkone für mehr Effizienz

green BUILDING 06/2018 (#88)

Bei energetischen Komplettsanierungen stellen Balkone oftmals eine große bautechnische  und statische Herausforderungdar. So auch  bei einem Wohngebäudeaus den 1960er-Jahren in Wien-Margareten, wo die  Balkone aus der bestehenden Zwischendecke auskragten. Vollständig abgetragen und durch neue vorgefertigte Leichtmetallkonstruktionen ersetzt, wurden Wärmebrücken in der neuen, frisch gedämmten Hülle verhindert.

Bis in die 1960er-Jahre hinein dauerte der Wiederaufbau des nach dem zweiten Weltkrieg stark beschädigten und um rund 20 Prozent reduzierten Wohnbaubestands  in Wien. Es musste rasch neuer Wohnraum für die wachsende Stadtbevölkerung geschaffen werden.roße Wohnblöcke mit einheitlich glatten Fassaden und ohne unnötige  Zierde kennzeichnen diese Epoche. „Schnell und kostengünstig“ lautete das Gebot der Stunde bei der Errichtungder zahlreichen Neubauten. Die Gebäude von damals sind mittlerweile  in die Jahre gekommen, haben ihre erste Sanierungsphase oftmals schonhinter sich und stehen heute vielfach  wieder vor einer grundlegenden Generalsanierung. 

vor allem in Bezug auf den Heizwärmebedarfentspricht der Baubestand der 1950er- bis 1960er-Jahre bei weitem nicht mehr dem Standard, der heute an zeitgemäße Gebäude, unabhängig von  ihrer Nutzung, gestellt wird. So steht vor allem die thermische Optimierung der Hülle im Vordergrund jedweder Sanierungsarbeiten. Die glatten Lochfassaden sind dafür in aller Regel auch bestens geeignet – mit Ausnahme jener Abschnitte, an denen sich Balkone befinden. Diese wurden in der Regel als durchgehende Betonplatte mit den  nnendecken gegossen und verfügen über keinerlei Wärmedämmung. Eine   rausforderung bei den energetischen anierungsarbeiten, die besondere bauliche  Maßnahmen erfordert. Wie auch beim Anton Grolig Hof – errichtet im Jahr 1960 –, der an der Straßenfassade über zwei Dutzend weit auskragender Balkone verfügt.

Statische Bestandsaufnahme
Aufgrund der fehlenden thermischen Trennung der Balkone vom Rest des Hauses mussten diese vollständig abgebrochen werden, um so eine durchgängige Wärmedämmung an der  Fassade anbringen zu können. Noch vor dem Abbruch wurde eine Balkonplattegeöffnet, damit sich das mit der Statik  beauftragte Unternehmen, die Harrer &Harrer ZT GmbH aus Wien, einen ersten  Eindruck über den Zustand der bestehendenBewehrung und die Lage und Anzahl der einzelnen Bewehrungseisen  verschaffen konnte.

Wesentliche Voraussetzung für die Anbringung der neuen Balkone entlang der Straßenfassade war nämlich, dass die in  den tragenden Zwischendecken verbleibenden Eisen eine ausreichende Bewehrung im Deckenbereich bildeten. Zugute kam der Statik dabei, dass die neuen, orgefertigten Leichtmetallbalkone über  ein deutlich geringeres Eigengewicht verfügen als die ursprünglichen Betonplatten. Dadurch wurde die errechnete Tragfähigkeit der bestehenden Wandund Deckenkonstruktion nicht vollständig ausgeschöpft. „Generell kann man sagen, dass die Last, die man neu anbringt, geringer sein sollte als jene, die weggenommen wird. Ein Mehr an  Gewicht geht in keinem Fall“, erklärt derStatiker Markus Harrer.

Bauausführung mit Fingerspitzengefühl 
Das Versetzen der neuen Fertigteilbalkone war aber trotzdem alles andere  als eine einfache Bauaufgabe. Für die thermische Trennung der Balkone wurde der Schöck Isokorb Typ RKS verwendet. Er ist – mit 120 mm Dämmkörperdicke – ein tragendes Wärmedämmelement für den Anschluss von frei auskragenden  tahlbalkonen an eine bestehende Stahlbetondecke. Der Balkonanschluss erfolgt von außen und das Element  berträgt negative Momente und positive Querkräfte. Es bietet in der Sanierung den gleichen Wärmedämmstandard  nd die gleiche Sicherheit gegen Bauschäden wie im Neubau. Der Schöck Isokorb Typ RKS ist bauaufsichtlich zugelassen und in Höhen von 160 bis 220 mm standardmäßig verfügbar.

Insgesamt mussten pro neuem Balkon drei Elemente an der Fassade angebracht und in den bestehenden Decken verankert werden. Vier Bewehrungsstäbe pro Isokorb bilden die tragfähige Basis für die neuen Balkone, bis zu einem Meter tief dringen diese in die Zwischendecken des Gebäudes ein. In Summe mussten also fast 150 Löcher mittels Spezialbohrverfahren gebohrt werden. „Rund zweieinhalb Wochen dauerten die Bohrarbeiten“, erinnert sich Markus Steyrer von der EBV – Ing. Markus Steyrer GmbH mit Sitz im niederösterreichischen Lichtenwörth an die herausfordernde Baustelle zurück. Dabei galt es, die Bohrungen exakt nach Schablone zu setzen. Jede noch so kleine Ungenauigkeit oder gar eine schiefe Bohrung hätte die Gefahr in sich geborgen, statt in der Zwischendecke mitten im hinter der Fassade liegenden Wohnzimmer zu landen. Diese Erfahrung blieb den Bauarbeitern und den Bewohnern zum Glück erspart und die Bewohner wurden zudem mit geringeren Heizkosten bei gleichzeitig höherem Wohnkomfort entlohnt.

Zwei Gesichter Da das Wohngebäude in der dichten Bebauung des zentrumsnahen Bezirks  über keine eigenen Grün- oderFreiflächen verfügt, sind die Balkone als kleiner privater Raum unter freiem  Himmel für ihre Bewohner besonders wertvoll. So wurden nicht nur die Balkone an der Straßenseite ersetzt, sondern auch die Wohnungen mit Blick in den Hinterhof erhielten alle eine neue Freifläche. Hier war der planerische und bautechnische Aufwand jedoch bedeutend geringer. Da zuvor keine Balkone  vorhanden waren, wurden die neuen Der Schöck-Isokorb Typ RKS mit 120 mm Dämmkörperdicke ist ein tragendes Wärmedämmelement für den Anschluss von frei auskragenden Stahlbalkonen an eine bestehende Stahlbetondecke. Foto: Schöck Bauteile GmbH Leichtmetallkonstruktionen auf einem Traggerüst vor die Fassade gestellt und nur punktweise in der Wand verankert. Zusätzlich erhielten die Wohneinheiten in der ersten Wohnebene straßenseitig eine Terrasse auf dem ehemaligen Flachdach    s versetzten Erdgeschosses. Somit verfügen jetzt alle W hnungen über einen eigenen Balkon oder eine eigene Terrasse. Im Zug der thermischen Sanierung   onnte der Heizwärmebedarf um zwei Drittel reduziert werden, wodurch das Gebäude heute Niedrigenergiestandardentspricht.

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© Foto: Ken Schluchtmann, diephotodesigner.de

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