Strukturierte Promotion an interdisziplinärer Schnittstelle
Die DFG hat in ihrer aktuellen Vergaberunde das Graduiertenkolleg „GRK 3123 BioBuild – Bio-inspired Materials and Systems for Responsive Building Components“ bewilligt. Graduiertenkollegs ermöglichen Doktoranden eine strukturierte Promotion in einem Forschungs- und Qualifizierungsprogramm auf hohem fachlichem Niveau. Das GRK „BioBuild“ arbeitet an der Schnittstelle zwischen Architektur-, Ingenieur- und Naturwissenschaften und fördert zwanzig Promovierende über fünf Jahre. Die ersten Promotionsprojekte beginnen im April 2026.
Professor Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart, und Professor Jürgen Rühe vom Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg sprechen das GRK gemeinsam.
Dynamische Anpassung an Umgebungsbedingungen
Das Forschungsprogramm konzentriert sich auf reaktionsfähige Gebäudehüllen. Diese passen sich dynamisch an Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Licht und Feuchtigkeit an und reduzieren dadurch den Bedarf an Heiz- und Kühlenergie im Gebäude. „Mit dem GRK ‚BioBuild‘ knüpfen wir an bisherige Forschungserfolge an. Ziel ist es, die Leistung bioinspirierter, reaktionsfähiger Gebäudehüllen mithilfe neuer Materialsysteme weiter zu verbessern“, sagt Jan Knippers.
Verschattungssysteme stehen besonders im Fokus. Bisherige Systeme basieren auf starren Mechanismen, wodurch sich einzelne Elemente einer Jalousie nur entlang gerader Achsen bewegen oder rotieren und sich damit nur bedingt am Sonnenstand ausrichten können. „Wir forschen an neuartigen Komponenten, die ihre Form flexibel ändern und autonom auf Umweltbedingungen reagieren“, sagt Jan Knippers. „Das erreichen wir durch die Entwicklung nachgiebiger Mechanismen, die auf reversibler elastischer Verformung beruhen.“
Responsive Materialien reduzieren Steuerungsaufwand
„Wir setzen zudem auf neue Materialsysteme“, sagt Jürgen Rühe. „Sogenannte responsive Materialien verändern ihre Form als Reaktion auf äußere Einflüsse selbstständig. Der Einsatz dieser Materialien in reaktionsfähigen Gebäudehüllen macht aufwändige Steuerungstechnik teils überflüssig und reduziert den Energiebedarf, die Fertigungskosten und den Wartungsaufwand.“
Kiefernzapfen als biomimetisches Vorbild
Die Natur dient als Ideengeber, insbesondere Kiefernzapfen. Diese passen sich an das Wetter an, indem sie ihre Schuppen je nach Feuchtigkeit öffnen oder schließen. Dabei bewegen sie sich äußerst flexibel und gleichzeitig ressourcen- und energieeffizient. Das GRK untersucht diese Bewegungsprinzipien und überträgt sie auf die Entwicklung neuer Komponenten für reaktionsfähige Gebäudehüllen. „Unsere neuen Materialien und Mechanismen haben auch darüber hinaus vielfältige Anwendungspotentiale – im Bauwesen, in der Luft- und Raumfahrt oder der Automobilindustrie“, sagt Jürgen Rühe.
Neben der Entwicklung neuer Komponenten nehmen die Forschenden auch deren industrielle Fertigung in den Blick. Zudem untersuchen sie, wie sich mithilfe von biobasierten Materialien der ökologische Fußabdruck von reaktionsfähigen Gebäudehüllen verkleinern lässt.
Interdisziplinäres Qualifizierungsprogramm
Im GRK arbeiten Architekten, Ingenieure und Naturwissenschaftler in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit. Das Qualifizierungsprogramm, das alle Promovierenden durchlaufen, beinhaltet neben vielfältigen Fachseminaren auch Module zu erfolgreicher interdisziplinärer Kommunikation.
Die Universitäten Stuttgart und Freiburg bauen mit dem Graduiertenkolleg „BioBuild“ auf eine langjährige interdisziplinäre Zusammenarbeit in der bionisch inspirierten Architektur auf. Im Bereich reaktionsfähige Gebäudehüllen haben die Partner bereits mehrere gemeinsame Systeme entwickelt, darunter FlectoLine oder Solar Gate, die erfolgreiche Langzeittests im Realbetrieb vorweisen. Das GRK verbindet die im Exzellenzcluster „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ gebündelte Kompetenz der Universität Stuttgart zu computerbasierter Planung und Fertigung für die Architektur mit den Kompetenzen der Universität Freiburg im Bereich der Materialwissenschaften und der Biomimetik des dortigen Exzellenzclusters „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS)“. (mb)
www.tf.uni-freiburg.de/de/fakultaet/institut-fuer-mikrosystemtechnik