Ingenieurbaupreis
„Der Ingenieurbau ist eine Kunstform“
Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Stephan Engelsmann
Herr Dr. Engelsmann, das Bauen und damit der Ingenieurbau befindet sich in der Transformation. Wie schätzen Sie den Veränderungsprozess ein?
Dr. Engelsmann: Nicht nur das Bauen, sondern unsere Welt befindet sich in einem Transformationsprozess. Ingenieure sind für die funktionalen Grundlagen der menschlichen Zivilisation zuständig – der Begriff des Zivilingenieurs, mit dem in vielen Ländern der Erde die Bauingenieure bezeichnet werden, macht dies sehr unmittelbar deutlich. Mit unserer Arbeit versuchen wir Ingenieure einen Beitrag zu leisten, unsere gebaute Umwelt nicht nur sicher und funktional, sondern auch nachhaltig und sozial zu gestalten. Verkehrswege und Wasserbauten, Brücken und Tunnel, Gebäude und Fassaden sowie viele weitere Bauaufgaben sind das Werk von Ingenieuren. Die Ausformung ist dabei stets abhängig von Randbedingungen, die sich kontinuierlich verändern. In der Gegenwart beschäftigen uns vor allem übergeordnete gesellschaftliche Fragestellungen und Herausforderungen wie beispielsweise Klimawandel und Ressourcenverbrauch, aber auch die Notwendigkeit des Schaffens von Infrastruktur und Wohnraum für viele Menschen. Und neue Randbedingungen erfordern stets ein Umdenken.
Anzeige
Was zeichnet Ihrer Meinung nach Ingenieurbaukunst heute aus?
Dr. Engelsmann: Von der Komposition bis zum Detail sorgfältig und mit dem Anspruch einer ganzheitlichen Qualität gestaltet, werden Ingenieurbauten zu Ingenieurbaukunst. Der Ingenieurbau ist eine Kunstform. Eine Kunstform in ständiger Bewegung, denn sie verändert sich mit technischen Entwicklungen. Eine besondere Eigenschaft von Ingenieuren ist die wissensbasierte Kreativität, mit der sie Planungsaufgaben intelligent und kreativ zugleich lösen können. Es geht um eine ganzheitliche Denkweise, die künstlerische und technologische Aspekte zu vereinen weiß. Ich meine, dass viel zu wenig über die gesellschaftliche Relevanz und soziale Bedeutung von Ingenieurleistungen gesprochen wird. Eine moderne Gesellschaft kann aber ohne sie nicht funktionieren.
Im Januar 2026 wird der Deutsche Ingenieurbaupreis 2026 ausgelobt. Warum ist es wichtig, Ingenieurbau sichtbar zu machen – etwa durch Preise und Auszeichnungen?
Dr. Engelsmann: Ingenieurleistungen sind häufig unsichtbar und ohne ingenieurwissenschaftliche Fachkenntnis nicht immer leicht zu verstehen. Nicht alle Menschen begreifen die komplexen Planungsprozesse und die technische Kreativität, die Voraussetzung für eine bauliche Realisierung von Ingenieurbauwerken und Gebäuden sind. Auszeichnungen wie der Deutsche Ingenieurbaupreis machen unsere Leistungen sichtbar und sie würdigen das Engagement der entwerfenden Ingenieure. Sie zeigen, dass Ingenieurbaukultur weit mehr ist als die Anwendung von ingenieurwissenschaftlichen Methoden: es geht um das Erscheinungsbild, um technische Raffinesse, um Innovation, um Nachhaltigkeit und um gesellschaftliche Verantwortung. Und diese Qualitäten brauchen Öffentlichkeit. Nur so können wir die Wahrnehmung für Ingenieurleistungen weiterentwickeln und nur so können sie zum Vorbild werden. Eine positive Wahrnehmung ist aber auch im Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung von großer Bedeutung. Ein anderes Instrument, um Qualität zu erreichen und die Wahrnehmung von Ingenieurleistung zu verbessern, sind Ingenieurwettbewerbe für Ingenieurbauwerke beziehungsweise interdisziplinäre Wettbewerbe für Planungsaufgaben wie Gebäude. Sie schaffen eine optimale Akzeptanz für Ingenieurbauwerke.
Schaut man über die Landesgrenzen hinaus, wie steht der Ingenieurbau in Deutschland im internationalen Vergleich da?
Dr. Engelsmann: Die deutsche Ingenieurausbildung und die deutschen Ingenieure genießen weltweit noch immer einen herausragenden Ruf. Wir werden einerseits geschätzt für Erfindungsgeist und Gestaltungskompetenz, anderseits für eine maximale technische Präzision, für Zuverlässigkeit und die Fähigkeit, Nachhaltigkeit zu denken. Der Export von Ingenieurleistungen wird aber behindert durch den Umstand, dass die deutschen Bauunternehmen nicht mehr so international arbeiten wie in vergangenen Jahren, durch eine geringe Wettbewerbsfähigkeit infolge zu hoher Arbeits- und Produktionskosten und auch durch die sehr kleinteilige Struktur unserer Planungsunternehmen. Nicht förderlich für die Reputation der deutschen Bauwirtschaft sind auch die überlangen Genehmigungsprozesse insbesondere bei großen nationalen Bauvorhaben, die in anderen Ländern sehr wohl zur Kenntnis genommen werden.
Der Veränderungsdruck ist weltweit spürbar. Wie wird sich der Ingenieurberuf in den nächsten Jahren verändern?
Dr. Engelsmann: Die großen Herausforderungen der Gegenwart in den Bereichen Energie, Mobilität, Wasser und Wohnraum werden nur Ingenieure lösen können. Das Bauen der Zukunft wird kreislaufgerecht, ressourceneffizient, umweltfreundlich und klimaneutral sein. Künstliche Intelligenz, Robotik und neue Formen der Kommunikation werden unsere Planungs- und Bauprozesse tiefgreifend verändern. Ingenieurwissenschaftliches Wissen und technische Exzellenz werden von zentraler Bedeutung bleiben, bedürfen jedoch der Ergänzung durch Kreativität, Umweltbewusstsein und soziale Kompetenzen. Die gesellschaftliche Verantwortung der Ingenieure wird in den anstehenden Transformationsprozessen noch größer werden. Um diesem Umstand gerecht zu werden, werden sich die Ingenieurwissenschaften in der Zukunft viel stärker mit den Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften vernetzen müssen.
Abschließend: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Ingenieurbaus?
Dr. Engelsmann: Von den Ingenieuren wünsche ich mir kreative, innovative und nachhaltige Planungslösungen, die der baukulturellen, ökonomischen und sozialen Relevanz des Ingenieurbaus Rechnung tragen, im besten Falle Ingenieurbaukunst werden. Von der Gesellschaft wünsche ich mir eine angemessene Wahrnehmung von Ingenieurleistungen, die das Experiment, den Wagemut und die Vielfalt zu schätzen weiß. Dafür brauchen wir kluge und phantasievolle junge Menschen, die optimistisch in die Zukunft blicken und keine Angst vor Neuem haben, die Ermöglicher sein und unsere Umwelt gestalten wollen und so einen Beitrag leisten, unsere Welt zu verbessern.