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Brückenverschub der Superlative
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Der Querverschub des östlichen Teilbauwerks der Talbrücke Rinsdorf stellte eine ingenieurtechnische Herausforderung dar – nicht zuletzt wegen der enormen Masse und Länge des Bauwerks: Rund 485,5 Meter wurden seitlich verschoben, einschließlich Pfeilern und Fundamenten. Damit dies überhaupt möglich war, kam ein maßgeschneidertes Verschubsystem zum Einsatz.
Im Schneckentempo Richtung Südwesten
Das erste Teilbauwerk der neuen Talbrücke Rinsdorf wurde in Seitenlage neben dem bestehenden, einteiligen Ursprungsbauwerk errichtet. Nach dessen Sprengung vor rund drei Jahren erfolgte an gleicher Stelle der Neubau des zweiten Teilbauwerks. Exakt 20 Meter und 59 Zentimeter rückte die Brücke nach Südwesten vor. Langsam, sehr langsam. „Das war im wahrsten Sinne des Wortes Schneckentempo“, sagt Gunther Nöh, Projektleiter der Autobahn GmbH in der Niederlassung Westfalen. Einen Meter pro Stunde kann das exakt 485,5 Meter lange Bauwerk zurücklegen, eine Schnecke ist nicht viel schneller. Der Querverschub dauerte über 20 Stunden und endete am 4. Juni um 16:58 Uhr mit der punktgenauen Ankunft des Brückenbauwerks an seiner endgültigen Position.
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24 hydraulische Verschubpressen im Einsatz
Verschoben wurde die Brücke mit Hilfe von 24 hydraulischen Verschubpressen – an jedem der sechs Pfeiler vier. Damit sich die tonnenschwere Last bewegen ließ, wurden in den Wochen vor dem Querverschub zwischen speziell hergerichteten Verschubbahnen und Fundamentsohle Teflonplatten eingebaut, die als Gleitkissen fungierten. Um den Reibungswiderstand auf ein Mindestmaß zu reduzieren, wurden die Platten mit Spezialfett vorbehandelt. Die sechs Pfeiler wurden im Vorfeld um rund zwei Zentimeter angehoben, um die Teflonplatten zu platzieren. Bis dahin lagen sie auf Elastomere-Platten. Geschoben wurde in insgesamt 15 Abschnitten; pro Abschnitt bewegte sich der Koloss 1,40 Meter vorwärts. Zwischen den einzelnen Abschnitten gab es dann eine längere Pause, um die Verschubtechnik neu einzurichten.
Der erfolgreiche Querverschub der Talbrücke Rinsdorf hat nicht nur technische Maßstäbe gesetzt – er zeigt auch, welche Bedeutung innovative Bauverfahren für die Zukunft der Autobahninfrastruktur haben. Das eingesetzte Verfahren erlaubt es, Brückenbauwerke mit minimaler Beeinträchtigung des laufenden Verkehrs zu erneuern. Durch präzise Planung und interdisziplinäre Zusammenarbeit wurden Risiken minimiert und zugleich neue Standards definiert. Die Talbrücke Rinsdorf steht exemplarisch für die strategische Ausrichtung der Autobahn GmbH: Zukunftsfähige Bundesfernstraßen durch innovative Lösungen, Mut zur Innovation und technologische Exzellenz.
Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin Niederlassung Westfalen, Autobahn GmbH: „Mit diesem Projekt beweisen wir, dass wir bereit sind, neue Verfahren zu erproben, Risiken sorgfältig abzuwägen und mit wissenschaftlicher Unterstützung zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln. Bereits in der Planungsphase wurden renommierte Expertinnen und Experten aus dem Bauingenieurwesen eingebunden. Ihre fundierten Einschätzungen bildeten die Grundlage für die Auswahl des Verfahrens. Damit zeigen wir, wie kreativ und innovativ die Autobahn GmbH die Brückenmodernisierung vorantreibt.“
Drei Fragen an Katharina Erbismann (Geschäftsbereichsleiterin Bau & Erhaltung, Autobahn GmbH Niederlassung Westfalen, Außenstelle Netphen) zum Thema Bauplanung
Frage: Wie kam die grundsätzliche Idee zum Querverschub?
Antwort: Die Planungen liegen jetzt rund zehn Jahre zurück. Die Voraussetzungen und Vorüberlegungen waren folgende: Das Bestandsbauwerk war einteilig, sodass mit beiden Richtungsfahrbahnen der gesamte Verkehr auf demselben Überbau lag. Ein Durchschneiden oder Durchtrennen des Überbaus kam aus statischen Gründen nicht infrage. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, das erste Teilbauwerk in Seitenlage zu errichten. So konnte der Verkehr vollständig von der Bestandsbrücke genommen werden, um diese zu sprengen und das zweite Teilbauwerk in Endlage an der ursprünglichen Stelle der Bestandsbrücke zu errichten. Das erste Teilbauwerk sollte dann aus der Seitenlage an den endgültigen Standpunkt an das zweite Teilbauwerk quer herangeschoben werden.
Frage: Wurden verschiedene Varianten untersucht und warum haben Sie sich dann für den Querverschub inklusive Pfeiler und Fundament entschieden?
Antwort: Ja, wir haben verschiedene Varianten untersucht. Die Grundidee des Querverschubs ist an sich nicht revolutionär gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt sind allerdings bei Talbrücken in vergleichbarer Größenordnung allein der Überbau oder einzelne Pfeiler verschoben worden. Als Erstes haben deshalb auch wir einen konventionellen Verschub durchgesprochen, das heißt nur den Verschub des Überbaus. Allerdings haben sich bei unseren Überlegungen dann ein paar Schwierigkeiten durch die Lage der Brücke in einem Radius in Kombination mit der Höhe der Talbrücke ergeben. Für einen Verschub des Überbaus müssen zunächst in der Seitenlage Behelfspfeiler und in der Endlage die endgültigen Pfeiler errichtet werden. Auf den Pfeilerköpfen muss dann ein Verschubbalken in Form von schweren Stahlträgern eingebaut werden, über die der Überbau geschoben werden kann. Durch die erforderliche Größe der Stahlträger und die unterschiedlichen Verschubwinkel in allen Pfeilerachsen hätten die Pfeilerköpfe allerdings mit einem immensen Aufwand angepasst und mithilfe von Behelfskonstruktionen errichtet werden müssen. Ob allerdings diese Vorarbeiten und der eigentliche Verschub in der Höhe von 60 Metern technisch und praktisch umsetzbar wären, war die nächste Frage, die letztlich nicht beantwortet werden konnte.
Im nächsten Schritt haben wir deshalb den Verschub inklusive Pfeiler ins Visier genommen. Diese Variante haben wir dann schlussendlich nach vielen Untersuchungen und einer Machbarkeitsstudie mit Hilfe von vielen Experten priorisiert. Denn letztlich sind alle Beteiligten überzeugt gewesen, dass diese Variante umsetzbar ist und gelingen wird.
Frage: Was sind die Vorteile gegenüber dem klassischen Querverschub (nur Überbau)?
Antwort: Es gibt viele Vorteile: Bei einem Verschub des Überbaus hätten wir in der Seitenlage sechs bis zu 60 Meter hohe Behelfspfeiler aus Stahlbeton errichten müssen, die anschließend wieder abgebrochen und entsorgt worden wären. Das ist weder wirtschaftlich noch nachhaltig. Auch die Bauzeit konnte so reduziert werden.
Durch die Freiheit, die Geometrie der Fundamente und der Verschubbahn auf alle technischen Erfordernisse anpassen zu können, konnten alle statischen und logistischen Herausforderungen optimal gelöst werden.
Da ist außerdem das große Thema Arbeitssicherheit, da nicht in der Höhe gearbeitet wird, weder für die Vorbereitung noch während des eigentlichen Verschubs. Durch die Lösung, unten zu schieben, konnte entspannt gearbeitet und sich auf das Wesentliche konzentriert werden.